„Zieh‘ es nicht so in die Länge, das ist ärgerlich. Du hast Dich entschieden zu Reisen, so geh!“

Querweltein Unterwegs – Eine Radreise voller Gegensätze

Erschienen 2003. Eine überarbeitete Neuauflage erschien 2013. In 228 Kurzgeschichten erzählt Stephan Thiemonds von den Erlebnissen während seiner mehrmonatigen Fahrradweltreise durch elf verschiedene Länder: Türkei, Syrien, Jordanien, Indien, Nepal, Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, Australien, Deutschland. Damit verbunden war die von ihm ins Leben gerufene, während seiner Abwesenheit von Freunden und Arbeitskollegen begleiteten Spendenaktion Einen Euro für jeden geradelten Kilometer. Der Erlös war bestimmt für den Wiederaufbau des durch den Brand zerstörten Zwiebelturmes von Schloss Merode, dem Wahrzeichen seines Heimatdorfes Merode.

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Die Erstauflage zeigt in der oberen Hälfte des Frontcovers auf hellgrauem Hintergrund die schwarzgezeichneten Umrisse einer Weltkarte, davor den Schattenriss eines Radreisenden auf einem mit Packtaschen beladenen Fahrrad. Die untere Hälfte des Covers ist weiß, darauf in schwarzer Schrift der Buchtitel. Die harten Kontraste – weiß-schwarz-hellgrau – sollen als optische Andeutung für die gegensätzlichen Erfahrungen und Begegnungen stehen, mit denen der Autor während seiner Weltradreise konfrontiert wurde: Reichtum-Armut; Hitze-Kälte; Überbevölkerung-Einsamkeit; Gebirge-Ebenen; Freude-Leid; Leben-Tod; Republik-Monarchie. Im Gegensatz zu dieser optischen Andeutung spricht der Untertitel des Buches Klartext: Eine Radreise voller Gegensätze.
Neben dem Radfahrer und der Weltkarte findet sich im oberen Teil des Covers noch das Logo dieser Radreise: eine Erdkugel, an deren Außenkontur, halbkreis-bogenförmig um die Südhalbkugel, Querweltein zu lesen ist. Entsprechend andersherum, halbkreis-bogenförmig um die Nordhalbkugel, stehen die Koordinaten 50,8° Nord & 6,4° Ost. Diese sollen auf den Heimatort des Autors, Merode, und auf den Start- und Zielpunkt seiner Radreise hinweisen.

Das Frontcover der Neuauflage, Querweltein Unterwegs – Eine Radreise voller Gegensätze zeigt ein Foto des Autors in orientierungsloser, nach Hilfe suchender Haltung. Mit ausgebreiteten Armen und hochgezogenen Schultern, unter einem auf arabischer und lateinischer Schrift gehaltenen, blauweißen Wegweiser auf der Zufahrtsstraße eines Kreisverkehrs, kurz vor der Ankunft im syrischen Aleppo. Das auf dem Foto zu sehende zweite Reisefahrrad gehört dem Wiesbadener Thomas Welschof, dem Fotograf des Frontcoverfotos. Kurz zuvor trafen sich die beiden zufällig nahe der Stadt Reyhanli an der türkisch-syrischen Grenzstation. Von dort aus radelten sie gemeinsam über Aleppo nach Palmyra, Homs, Damaskus und Bosra und weiter über die syrisch-jordanische Grenze bis zur Hauptstadt Amman, wo sich ihre Reisewege wieder trennten.
Die Coverrückseite, sowohl der Erst- als auch der Neuauflage, zeigt ein Porträtfoto des vollbärtigen Autors mit Mütze in Kathmandu. Bei der Neuauflage kam ein zweites Foto hinzu, das ihn auf seinem bepackten Reisefahrrad mit -anhänger zeigt, im Australischen Outback, auf dem Weg von Alice Springs zum Ayers Rock.

Im Sommer 2002 brach Stephan Thiemonds bewusst aus seinem Alltagsleben aus; von seinem Heimatort Merode, zu einer mehrmonatigen Radreise auf. Von Deutschland aus, Richtung Osten. Immer weiter ostwärts. Bis zur gegenüberliegenden Seite der Welt. Und weiter ostwärts. Bis zurück in seine Heimat. Meist mit dem Rad unterwegs: zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Und immer auf der Suche. Jedoch nicht nach dem Außergewöhnlichen; nicht nach dem besonderen Kick; nicht nach dem extremen Abenteuer. Im Gegenteil! Während der „Radreise voller Gegensätze“ wollte er sein Augenmerk bewusst auf die „Kleinigkeiten des Alltags“ richten. Auf jene Alltäglichkeiten, die sich nicht mal eben schnell auf den ersten Blick erfahren und erleben lassen; die man in der Hektik des Alltags leicht übersieht; für die man Muse braucht, um sie zu entdecken, zu spüren, zu reflektieren. Fraglich war, ob diese Alltagsgeschichten zum Opfer unserer schnelllebigen Zeit wurden? Von der Hektik verschluckt, ins bedeutungslose Abseits gestellt? Nicht lohnenswert, um erzählt zu werden?

Wenn dem so wäre, hätte Stephan Thiemonds die in diesem Buch vereinten 220 Geschichten, aus 12 verschiedenen Ländern, nicht aufgeschrieben. Geschichten, die für die einheimische Bevölkerung der jeweiligen Länder, weder sonderbar, ungewöhnlich oder gar exotisch waren. Das einzig Exotische war der Radreisende; der „Bunte Hund“, der auf seinem Fahrrad querweltein durch den Alltag fremder Menschen radelte.

Ein Wort vorab: Einen Euro für einen Kilometer!
Bevor es endlich losgeht, ein Wort zur überarbeiteten Neuauflage
Schlüsselergebnisse

Deutschland – Türkei

  • Aufbruchstimmung
  • Die schönsten Dinge passieren im Kopf
  • Der Muezin ruft zum Abendgebet
  • Unterwegs in der Türkei – Von Istanbul bis Alanya
  • Straßenkinder
  • Von Alanya aus an die syrische Grenze
  • Acht Kilometer zu früh gefreut
  • Türkischer Aberglaube
  • Grenzgänger

Syrien – Jordanien

  • Syrien – ein weißer Fleck auf meiner Landkarte
  • Streifzug durch den Souk von Aleppo
  • Auf die richtige Aussprache kommt es an!
  • Durch die syrische Wüste
  • Wüstenhunde die bellen, beißen nicht
  • Miss Marple
  • Eine Nacht auf der Polizeiwache von Buraq
  • Die Märchenerzähler
  • Der Duft Syriens
  • Mit gemischten Gefühlen geht’s weiter

Indien

  • Tausend Eindrücke
  • Der reiche Tourist
  • Das Fotomodell von Bombay
  • Morgenerwachen
  • Die Baukünstler
  • Vino
  • Indiens
  • Schlangenwelt
  • Goa
  • Arrogante Kühe, oder – David gegen Goliath
  • Indische Essgewohnheiten
  • Ein tierisches Vergnügen
  • Kastensystem – Kästchendenken?
  • Backwaters Thiruvananthapuram
  • Wie ein bunter Hund
  • Sweet Ladies
  • Achtung! Scharfe Linkskurve
  • Schotter, Steine, Kies
  • Ade westliche Vorstellungen
  • Das fleißige »Sparschwein«
  • Der Wolf im Schafspelz
  • Wer joht schmiert, der joht fiehrt
  • Ein schöner Brauch
  • Verheiratet, zwei Kinder
  • Mein erster Schultag
  • Gute Nacht zusammen
  • The most dangerous animal in the world
  • Nicht nur eitler Sonnenschein
  • Der Drahtesel und das Feuerross
  • Nur noch zehn Kilometer
  • Großstadtgeflüster
  • Das Kamel und das Nadelöhr
  • Lausbubengeschichten
  • Tante Emma Läden
  • Die kleinen, großen Stars
  • Ein stummer Aufschrei
  • Harischandra Ghat
  • Morgenstund’ hat
  • Schlangenbeschwörer oder Kasperletheater?
  • Aus Dankbarkeit am Frieden
  • Wenn es Nacht wird über Indien
  • Indiens goldenes Dreieck
  • Agra – eine Liebeserklärung
  • Jaipur – alles nur Fassade?
  • Die Hauptstadt
  • Müll, Müll, Müll
  • Nie allein sein wollen, nie allein sein können
  • Der Pawlowsche Hund
  • Was war, was ist und was kommen wird
  • Das Spiel
  • Tempel, Götter, Rituale
  • Quo vadis?
  • Die Zeitreise
  • Die türkische Luft ist raus
  • Indien: Eine unendliche Geschichte
  • I wish you a Happy New Year

Nepal

  • Ein neues Jahr, ein neues Land, eine neue Herausforderung
  • Nur keine falschen Vorstellungen
  • Übernachtung im Tal
  • Gesichter Nepals
  • Trampelpfade – Traumpfade?
  • An- (Aus-)sichtssache
  • Ein Freund, ein guter Freund …
  • Der Himalaja wächst
  • Großes wird klein – Kleines wird groß

Thailand

  • Welcome to Asia
  • Stopover
  • Glückbringende Freiheit
  • Die Flasche(n)
  • Der Trittbrettfahrer
  • Galileo, Newton & Co.
  • Das verbotene Land
  • Staatsgewalt
  • Abendbeschäftigung auf thailändisch
  • Takrow
  • Kampagne
  • Welcome to the land of peace and love
  • Der Zeit voraus
  • Wo, bitte schön, geht’s zum Paradies?
  • Situationskomik
  • Männeken Piss
  • Eine harte Nuss
  • Friedhof der Opferaltäre
  • Die Welt ist ein Dorf
  • Lucky guys in paradise
  • Very welcome!
  • Bus-stop-overnight

Malaysia

  • Einreisebestimmungen
  • Maskerade
  • Nach gutem alten Brauch
  • Fahn, Fahn, Fahn auf der Autobahn
  • Wira
  • Wunder gibt es immer wieder
  • Touch the sky
  • Hilfe, meine Schuhe!
  • Einfach nur so
  • Multi Kulti in Malaysia

Singapur

  • Singapur – very busy!
  • Mega-Shopping
  • Countdown

Indonesien

  • Selamat Datang -Willkommen in Indonesien
  • April, April
  • Take off – der Radreisende auf Abwegen
  • Back to bike
  • Verkehrt gepolt
  • Das Lonely Planet Syndrom
  • Privatisierte Gesetzeshüter
  • Lustige Straßenmusikanten
  • Ich spreche alle Sprachen dieser Welt
  • Arm und (oder) Reich
  • Reine Glaubensfrage
  • Schäl’ es, koch’ es oder vergiss’ es
  • Hier spielt die Musik
  • Lass’ die Puppen tanzen
  • Schlaflose Nächte
  • DieWege des Herrn sind unergründlich
  • De Lüx(-eriös)
  • In einem Land vor unserer Zeit – der erste Versuch
  • Candi bentar
  • Weit, weit, weit, so weit
  • Sternstunden
  • Tanz der Dämonen
  • Die »Ursprünglichkeit« der Gegenwart
  • Moment mal!
  • Über den Wolken
  • Die Blumeninsel
  • J… v… O…
  • Die Tränen einer Frau
  • In einem Land vor unserer Zeit – der zweite Versuch
  • Toys ’r’ us – die kleine Kinder, große Kinderwelt
  • Die eigenen vier Wände
  • Hot wheels
  • Fußball ist unser Leben
  • Die Steinmetze von Bali
  • Der Zauber einer Insel
  • Scheinheilig
  • Go West
  • Streithähne
  • Bali – die Insel, wo Götter Urlaub machen?
  • In die Höhle des Löwen
  • Asien ade
  • Was macht das Rad im Röntgenautomat?

Australien

  • Down under – die Welt steht Kopf
  • Zwei Kumpel aus Kanada
  • Don’t risk your life!
  • Karl-Heinz
  • Wie im Märchen
  • Sechsundzwanzig Mann und eine Ei
  • Beim Barte des Propheten
  • Wahrheit oder Pflicht?
  • Ein Kumpel aus Kanada
  • The Track
  • Mach ’ne Fliege, Fliege
  • Winke-Winke
  • Eine Radreise – mit allen Sinnen genießen
  • Wie auf Schienen
  • Maßstabgerecht
  • Angst auf Reisen
  • We’re on the road to nowhere
  • Ein Unbekannter schrieb
  • We’re still on the road to nowhere
  • (Un-)natürlich rätselhaft
  • Das fliegende Klassenzimmer
  • Royal Flying Doctors
  • Ein alter Brocken – die Annäherung
  • Ein alter Brocken – auf Tuchfühlung
  • Ein schweres Erbe?
  • Weißer Mann im Loch
  • Have a drink on me
  • Grenzenlose Weite – Nächte im Outback
  • Der Weg ist das Ziel
  • Staufrei B 100
  • 457 Wood cutting
  • Stadtgeflüster
  • Der Mittelpunkt der Welt
  • G’day mate
  • Bye bye, Down under
  • Wie geht’s weiter?
  • Zurück auf die Schienen
  • Murmeltiertag

Deutschland

    • Hurra Deutschland
    • Wenn meine Schuhe reden könnten
    • Die letzten sieben Kilometer
    • Danke! Querweltein Unterwegs – Die Geschichte geht weiter … und weiter … und weiter.
    • Detailliertes Inhaltsverzeichnis

ISBN 978-3-86963-706-8, Paperback, 416 Seiten, 18,95€.

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Eine Nacht auf der Polizeiwache von Buraq

Es ist Mittagszeit. Zusammen mit Thomas habe ich die vergangenen Tage in Damaskus verbracht. Den Würzburger, der mit dem Rad auf dem Weg nach Kairo ist, traf ich erstmals an der türkisch-syrischen Grenze. Hinter Aleppo trennten sich dann unsere Wege, bis sie sich einige Tage später wieder, rein zufällig, kreuzten. Diesmal in Palmyra, von wo aus wir uns gemeinsam auf den Weg in Richtung Süden machten. Heute wollen wir Damaskus in Richtung der jordanischen Grenze verlassen. Da die nächste Stadt auf unserer Route über hundertfünfzig Kilometer entfernt liegt, decken wir uns mit Proviant ein und planen eine Übernachtung im Zelt, in der syrischen Wüste.

Ein heftiger Seitenwind begleitet uns stadtauswärts. Wie dichter Nebel peitscht aufgewirbelter Sand umher und prasselt feinkörnig auf unsere Gesichter.

Nach gut vierzig Kilometern ist Al-Buraq erreicht. Ein kleiner Ort inmitten einsamer Landschaft. Eine Pension gibt es hier nicht, wie uns der Verkäufer eines Lebensmittelgeschäftes mitteilt. Wohl aber eine Polizeistation.

Mit dem Sturm sind auch unsere Gedanken ans Zelten verflogen. Wo aber sollen wir übernachten? Die nächste Stadt liegt für heute unerreichbar weit entfernt. Wieder kommt uns die Polizeistation in den Sinn. Vom Hörensagen anderer Reisender, sollen Notübernachtungen bei örtlichen Polizeiposten möglich sein. Praktische Erfahrungen haben wir keine. Alternativlos lassen wir es auf einen Versuch ankommen.

Bewusst auffällig ist unser Verhalten, als wir auf die Polizeistation zurollen, unsere Räder davor abstellen und uns »erschöpft« auf den Stufen niederlassen, die zum Eingang führen.

Wie erhofft, dauert es auch nur wenige Augenblicke, bis uns ein junger uniformierter Polizist in erstaunlich gutem Englisch begrüßt. Gastfreundlich bittet er uns in die Polizeistation. In einem recht geräumigen Zimmer begrüßen uns drei weitere Beamte mittleren Alters. Allesamt sind sichtlich froh über den unerwarteten Besuch.

Auffallend im Raum sind die vier windschiefen Metallbetten mit Schaumstoffauflage. Zwei uniformierte Beamte hocken darauf. Einer von ihnen liest, ein anderer knipst sich seine Fußnägel kürzer. Der Dritte liegt in Unterhemd und Sporthose entspannt auf einem Bett, raucht genüsslich eine Zigarette, wobei er den Rauch zur Zimmerdecke pustet, von der mittig ein Kabel herabhängt, an dem eine angeknipste Glühbirne vom Durchzug hin- und herbaumelt.

Ebenso zur Ausstattung des karg möblierten Zimmers gehören vier Kleiderspinde. Mehrere Bilder des verstorbenen Präsidenten Assad und seines Sohnes Balschar zieren die Blechtüren der Schränke. Auf den Türinnenseiten posieren europäische Schönheiten in aufreizenden Posen. Auf einem Gaskocher köchelt Teewasser und aus den knackenden Boxen eines Radios erklingen arabische Töne.

Der gut englischsprechende Polizist dolmetscht für seine Kollegen, wodurch eine lebhafte Unterhaltung zustande kommt. Die Staatsdiener zeigen sich interessiert und überaus wissbegierig. Zuerst durchforsten wir unsere Reisekarte von Syrien und die Bilder im Reiseführer. Die Nachbarländer Deutschlands sind ebenso ein Thema wie die Entstehung und Ausdehnung des Wetterphänomens El Ninho. Wir sind überrascht von solcher Art Fragen, kratzen all unser Wissen zusammen und erzählen von der globalen Erderwärmung und den dadurch abschmelzenden Polkappen.

Ob all das, worüber wir berichten, tatsächlich stimmt, wissen wir selbst nicht so genau. Jedenfalls scheinen den Beamten unsere Ausführungen zu gefallen, und das ist schließlich in solch einer völkerverständigenden Situation das Allerwichtigste. (Bei der es uns in erster Linie darum geht, eine Bleibe für die Nacht zu ergattern.)

Und tatsächlich, unser Plan funktioniert: Die Polizisten laden uns zur Übernachtung in ihre Station ein. Offensichtlich bringen wir mit unserem plötzlichen Besuch ein wenig Abwechslung und Zeitvertreib in den tristen Polizei-Alltag im Provinzdörfchen Al-Buraq.

Die Zeit vergeht, und die Stimmung lockert mehr und mehr auf. Das Vertrauen der Polizisten uns gegenüber steigt. Rein routinemäßig kontrolliert der Stationschef unsere Reisepässe mit den gültigen Visa und gibt anschließend einen Funkspruch an die Hauptwache weiter, dass der Außenposten Al-Buraq für die kommende Nacht Besuch von zwei Radlern aus Deutschland hätten.

Inzwischen haben wir unser Gepäck vom Rad geladen und es uns im Polizeirevier gemütlich gemacht. Neben den Metallbetten der Polizisten dürfen wir unsere Matratzen und Schlafsäcke ausrollen.

Bevor es dunkel wurde, sind wir zum nahe gelegenen Lebensmittelladen gelaufen und haben einige Schachteln Zigaretten als Gastgeschenk für unsere »Herbergseltern« gekauft.

Unsere Lebensmitteleinkäufe aus Damaskus bereiten wir für uns alle als Abendessen in der Stationsküche zu. Nudelsuppe mit Brotbeilage. Es ist kurz nach einundzwanzig Uhr. Während Thomas gerade seiner Freundin Kerstin einen Brief schreibt, fasse ich die Erlebnisse des Tages in Stichworten zusammen. Schon lange ist die Sonne hinterm Horizont versunken, und noch immer peitscht der Sandsturm durch die mondhelle Nacht. Die Polizisten haben ihre Betten zusammengeschoben, hocken im Schneidersitz darauf und spielen, von lautstarken Kommentaren begleitet, Karten.

Al-Buraq, Syrien, 2002
Stephan Thiemonds©
“Querweltein Unterwegs – Eine Radreise voller Gegensätze”

Der Trittbrettfahrer

Thai-Musik klingt aus den Ohrstöpseln des kleinen Weltempfängers, der vorn an der Lenkertasche baumelt. Zu melancholischen Klängen trällert eine zarte, weibliche Stimme, die sich mit dem Knistern vermischt, durch die im Takt der Kurbelumdrehungen schwankende Kabelantenne. Eigentlich passt die Melancholie zu meiner Gemütsstimmung, denn insgeheim sehne ich das Erreichen der einige Kilometer vor mir liegenden Passhöhe herbei.

Denn dort oben findet endlich für mich das »never ending up and down« endlich ein Ende. Ziemlich treffend brachte mit diesen Worten – außer Atem, verschwitzt und mit hochrotem Kopf – ein französisches Radlerpärchen die topographischen Straßenverhältnisse Nord-Thailands auf den Punkt. Mögen die landschaftlichen Reize einer Bergwelt noch so verlockend sein; nach Nepal und Nord-Thailand freue ich mich schon darauf, mal wieder Flachland unter den Reifen zu spüren.

Zu dem kleinen Mann im Ohr sorgen ab und an farbenfrohe Schmetterlinge für Abwechslung im Berg, die mit hektischen Flügelschlägen auf gezackten Flugbahnen um mein Fahrrad Rad kreisen. Wieder einmal flattert ein neugieriges Kerlchen um meine Lenkertasche, bis es schließlich auf der darauf befestigten Klarsichthülle landet, in der die Landkarte steckt. Mit seinen zarten Beinchen steht er unweit des Städtenamens Mae Sot, meinem Ausgangspunkt am heutigen Morgen. Sicherlich hat der Schmetterling während seines Rundfluges um die Lenkertasche das viereckige Zeichen auf der Karte gesichtet, welches auf den nationalen Flughafen außerhalb der Stadt hinweist. Still und unbeweglich haftet der blinde Passagier auf der Klarsichthülle. Kaum größer als die Fläche eines Daumennagels sind seine gegeneinander geklappten Flügelchen, die bergauf nur einem lauen Lüftchen standhalten müssen. Grau-weiß gefärbt, leicht ineinander verwaschen, ist das hauchdünne Gewand des Schmetterlings. Dagegen farblich scharf voneinander getrennt, ähnlich wie die Ringelmuster-Stutzen der Kicker von Borussia Dortmund, sind seine in schwarz-weiß gehaltenen Beinchen. Ebenso seine Fühler, die wie zwei auf Empfang geschaltete Antennen vom schwarzen linsenförmigen Kopf abstehen.

Sonderbar an dem kleinen Flattermann ist, dass sein Hinterteil ähnlich ausschaut, wie sein Kopf. Zwar etwas kleiner, wehen von dem schwarzen Hinterteil lauter zarte Haarzotteln. Ebenso schwarz-weiß gestreift, wie die Fühler, jedoch in der Ausprägung noch feiner und scheinbar flexibler, die sich wie feinste Äderchenverästelungen bis unter die samtdünnen Flügelflächen fortsetzen. Scheinbar gefällt es dem Trittbrettfahrer vorn als Kühlerfigur meines Fahrrades die Sonne zu genießen, während ich mich abstrampele.

Dadurch, dass mich das kleine Kerlchen ablenkte, verstrichen die letzten Kilometer hinauf zur Passhöhe wie im Fluge. Dann endlich geht’s bergab. Und während mein Rad mehr und mehr an Fahrt gewinnt, macht mein kleiner Beifahrer keinerlei Anstalten des Unbehagens. Wild rüttelt der mit zunehmender Geschwindigkeit stärker werdende Fahrtwind an den noch immer zusammengeklappten Flügelchen. Wie festgeklebt haften die Enden seiner schlaksigen Beinchen auf der Klarsichthülle, während der Rest seiner Glieder heftig schlottert. Mit diesem Bild vor Augen, stelle ich mir gerade das kleine Kerlchen zigmal vergrößert vor –, wie es eine braunlederne Sturmhaube, gehalten von einem Kinnriemen und eine eckige Fliegerbrille trägt, wobei sein von der Geschwindigkeit verzerrtes Gesicht dem Gegenwind trotzt.

Mit fünfundvierzig Sachen rauschen wir gemeinsam ins Tal. Und die weiterhin abschüssige Straße verhilft zu noch schnellerer Fahrt … Doch plötzlich – schwupp – weg ist er, mein bis dahin tapferer Trittbrettfahrer. War ihm letztendlich wohl doch zuviel Wind um seine zarten Öhrchen, als er sich entschloss, die Reißleine zu ziehen. Kurz blicke ich zurück –, doch von einem geöffneten Minifallschirm ist nichts zu sehen.

Unterwegs auf dem Mae Hong Son Loop
Nord-Thailand, 2003
Stephan Thiemonds©
“Querweltein Unterwegs – Eine Radreise voller Gegensätze”

Genzenlose Weite

Allmählich, kaum merklich, verblasst das grelle Licht der Nachmittagssonne. Der Schattenfall meines Fahrrades kippt mehr und mehr seitlich, verzerrt, wobei sich seine einst scharfkantigen Linien langsam mit dem grauen Asphalt vermischen, schließlich mit ihm eins werden. Der Abend zieht auf.

Zu dieser Jahreszeit, dem australischen Winter, taucht die Sonne bereits gegen achtzehn Uhr hinter der Horizontlinie ab. Bis zu dieser erstreckt sich um mich herum die endlose Weite, das einsame, fast menschenleere Outback. Eine Leere, oftmals nur gespikt durch wenige Büsche und Steine.

Das heute Früh zuletzt passierte Roadhouse liegt nun mehr als einhundertzwanzig Kilometer hinter mir. Und das Kommende in etwa der gleichen Entfernung voraus. Zwischen diesen beiden Oasen gibt’s kaum Abwechslungsreiches. Außer Steinen, Staub und einigen Kängurus, die, sobald sie meine Witterung aufnahmen, scheu von der Straße weghoppelten. Vor allem aber gibt‘s keinen Tropfen Wasser.

Nicht nur die zarten Lichtveränderungen am Himmel, die ineinander verschmelzenden Blautöne, die allmählich in gelbrötliche Schattierungen wechseln kündigen das Ende des Tages an. Ebenso meine müden Radlerbeine und das einsam daliegende Asphaltband des Stuart Highways. Es ist mehr als eine Stunde her, als mir das letzte Fahrzeug – das Vierte am heutigen Tage überhaupt – begegnete. Und es soll auch das letzte Fahrzeug bis zum kommenden Morgen gewesen sein.

In dieser verlassenen, wasserlosen, ja fast schon menschenfeindlichen Gegend einen geeigneten Zeltplatz zu finden, ist für einen ungeübten Buschcamper aus dem kompakten Deutschland nicht leicht. Was stand noch gleich im australischen Reiseführer: bloß nicht in ausgetrockneten Bach- oder Flussläufen campieren. Auch nicht in den so genannten Floodways. Heftige Regenfälle, selbst in weit entfernten Landesgegenden, können binnen kurzer Zeit die geglaubte Schutzmulde in einen reißenden Strom verwandeln, der alles, was auf seinem Weg liegt, mit fortschwemmt.

Auf der Suche nach einem, von der Straße aus sichtgeschützten Zeltplatz, schweift mein Blick über die tellerflache Ebene. Dicht gruppiertes Buschwerk oder schlecht von der Straße einzusehende Erdsenken gilt meine Aufmerksamkeit, um vor eventuellen Blicken geschützt, mein Nachtlager aufzuschlagen. Zudem sollte der Untergrund nach Möglichkeit eben, ohne spitze Steine, Dornen- und Ameisenfrei sein.

Die Zeit drängt. Der mittlerweile dunkelrote Sonnenball gibt mir die noch verbleibende Zeit bis zur Dunkelheit vor. Noch etwa eine Stunde. Ein Stück weit voraus erheben sich, unweit der Straße, einige sanfte Hügel, auf dessen abgeflachten Kuppen dicht gruppiertes Buschwerk thront. Mein Nachtplatz.

Prüfend fährt mein Blick in beide Richtungen den Highway entlang, ob sich nicht doch noch ein Fahrzeug nähert, dessen Fahrer ich nicht unbedingt mein Versteck verraten möchte. Niemand ist in Sicht.

Ab der Straße, versinkt durch das Gewicht des Gepäcks die Radreifen zentimetertief in dem weichen, feinkörnigen Sand. Mühevoll zerre ich das Rad mit dem angehängten Bob zu einer der Kuppen hinauf. Meter um Meter. Ausgedörrtes Gras und Geäst knistern wie aufloderndes Strohfeuer unter meinen Schuhen. Leider bemerke ich die spitzen Dornen erst, als sie sich in meine Schuhsohlen und Bobs Hinterrädchen gebohrt haben, ihm so den ersten Plattfuß bescheren. Hingegen halten die beiden Kevlar verstärkten Reifen des Fahrrades dem pieksenden Angriff stand. Fürs Flicken bleibt heute keine Zeit.

Mit wenigen Handgriffen sind die Aluminiumstängchen des Zeltes zusammengesteckt, alle Heringe in den sandigen Untergrund gedrückt. Meine bescheidene Behausung steht. Ebenso fix ist die Matratze aufgeblasen, der Schlafsack ausgerollt und mit den nötigen Nachtutensilien aus den Gepäcktaschen das Schlafgemach wohnlich eingerichtet.

Und während sich der Himmel von Orangegelb-, allmählich übergehend in Blutrot- und Lilatönen färbt, durch dessen Vorhang zarte Schleierwolken ziehen, krame ich in Bobs Verpflegungstasche nach dem heutigen Candle-Light-Dinner. Ohne Campingtisch und Klappstuhl unterwegs, lernt man schnell die elementaren Dinge des Alltags und den heimatlichen Luxus einer Einbauküche zu schätzen. Was bedeutet, dass ich meine Mahlzeiten in mehr oder weniger unnormaler Körperhaltung einnehmen muss.

Zur Auswahl stehen am heutigen Abend, entweder bunt verpackte Tütensuppen unterschiedlichster Geschmacksrichtungen, Spiralnudeln gemischt mit Kidneybohnen oder aber Toastbrot mit Marmelade und Peanutsbutter. Letztgenanntes ist übrigens eine beliebte Delikatesse der Australier.

Da Radreisen durchs Outback nicht gerade viel Stauraum für einen verwöhnten Gaumen bietet und weil mir die schnell voranschreitende Abenddämmerung die noch verbleibende Zeit bis zur Dunkelheit vorgibt, entscheide ich mich für ein dünnes Nudelsüppchen à la Nasi Goreng Geschmack. Und während die cross gewundenen Nüdelchen bereits im kochenden Wasser auf dem Benzinkocher weich werden, ich das Nasi Goreng Pülverchen aus dem eingeschweißten Tütchen hineinrieseln lasse und unterrühre, begeben sich meine nach geschmacklicher Veränderung sehnenden Gedanken auf eine Reise zurück zu den Garküchen Asiens mit ihren phantastischen Essensangeboten.

Nach dem spartanischen, aber immerhin sättigenden Abendessen bleiben mir für Abwasch, Zähne putzen und Körperpflege jeglicher Art, knallhart kalkulierte zwei Liter Mineralwasser. Zwei Liter, und nicht mehr. Demnach bleiben noch insgesamt sechs Liter übrig für die Nacht, das Frühstück und den rund hundert Kilometern bis zum nächsten Roadhouse, bis zum nächsten Wasser.

Mit dem Rad unterwegs im Outback, ohne Stromaggregat, ohne Gaslampe, ohne starke Taschenlampe, bestimmt, wie schon bei den steinzeitlichen Höhlenmenschen, der Lauf der Sonne den Tages- und Nachtablauf. Während die Dunkelheit von Augenblick zu Augenblick mehr über die Abenddämmerung siegt, treten stecknadelkopfkleine Sterne daraus hervor. Hunderte, tausende, unendlich viele. Als fadenscheiniger Nebel, zieht die Milchstraße quer über den Nachthimmel. Bis auf das Knistern meines bescheidenen Lagerfeuers und dem leichten Wind, der zart an der sich aufblähenden Zelthülle zupft, ist es totenstill. Eine Stille, die jedoch keinesfalls bedrückend oder gar ängstlich wirkt. Sondern eine Stille, bei der das Wort Nachtruhe seine volle Geltung entfaltet. Eine friedvolle Stimmung liegt über dem Land. Als hätte der Himmel die Erde still geküsst. Die glückliche Einsamkeit des Alleinreisenden umarmt mich. Bilderbuchromantik –, die man eigentlich in trauter Zweisamkeit genießen sollte. Stattdessen hocke ich hier, in den Händen einen warmen Emailbecher, aus dem der Kaffeeduft qualmend aufsteigt. Und neben mir einem taubstummen Fahrradanhänger namens Bob!

Merklich rasch fällt nach Sonnenuntergang die Quecksilbersäule. Fünfundzwanzig Grad Temperaturunterschied gegenüber dem Tag, bescheren Nachttemperaturen im Zelt von lausigen plus drei bis vier Grad Celsius.

Noch während mein vom Zivilisationsleben verweichlichtes Menschenfleisch in den flauschig wärmenden Schlafsack hineinkrabbelt, hoffe ich ernsthaft, dass der eben getrunkene Kaffee mir möglichst in der Nachtmitte, heftig auf die Blase drückt. Denn dann …

… mitten in der Nacht, im Halbschlaf und mit schweren Auglidern, winde ich mich aus dem Schlafsack, tastend nach dem Zeltreißverschluss. Ziehe ihn auf, stecke den auf Schlaf eingestellten Kopf in die kühle Nacht, einen langen Augenblick gebannt innehaltend. Lediglich in Shorts gekleidet, tapse ich der Kälte strotzend hinaus, in die überwältigende Nacht. Schier grenzenlos spannt sich von Horizont zu Horizont ein grenzenloser, phantastischer Sternenhimmel, – ein Himmelszelt von solch gigantischen Ausmaßen und kontrastreicher Klarheit, dass er mich fast schon durch seine Schönheit erdrückt. Gänsehautmomente. Von dort, wo Wüste und Himmel miteinander verschmelzen, beginnt die Sternenpracht, bis hinauf, über meinem Kopfe. Rundum, dreihundertsechzig Grad! Wie unter einer Käseglocke gefangen, stehe ich unbewegt da, gespannt, gebannt, blicke mich ehrfürchtig um. Während über mir das Kreuz des Südens wacht.

Unterwegs vom Stuart Highway zum Oodnadatta Track,
im australischen Outback, 2003
Stephan Thiemonds©
“Querweltein Unterwegs – Eine Radreise voller Gegensätze”